Darf ich meinen Nachbarn boxen?

nicolaihoene Sportrecht

Zugegeben: Diese Überschrift ist plakativ und übertrieben kurz, denn klar ist, dass ich meinen Nachbarn nicht boxen darf. Jemanden zu schlagen ist eine Körperverletzung, und nach dem Strafgesetzbuch würde ich dafür bestraft.

Mein Nachbar ist aber in einem Boxverein. Darf ich ihn jetzt boxen? Nun wird es spannend, und wir kommen zu dem Punkt, an dem Juristen sagen „Kommt drauf an“. Denn wenn wir uns im Boxring träfen, würden wir uns gegenseitig schlagen können, nicht aber, wenn wir uns im Treppenhaus treffen. Irgendwie logisch, oder?

Sie merken, worauf es ankommt: Es kommt auf das Regelwerk an. Das Regelwerk im Boxring sind die Regeln der International Boxing Association. Das Regelwerk im Wohnhaus sind die Regeln des menschlichen Miteinander, Grenzen setzt das Strafrecht, in dem es u.a. verboten ist, andere Menschen grundlos zu schlagen. Was an der einen Stelle erlaubt ist, ist woanders verboten.

Lassen Sie mich kurz noch etwas tiefer ins Strafrecht einsteigen: Das Schlagen eines Gegners im Boxring ist übrigens trotzdem eine Körperverletzung, aber man wird nicht dafür bestraft, denn sie passiert mit dem, was das Strafrecht „Einwilligung“ nennt. Wenn der andere also damit einverstanden ist, dass er geboxt wird, dann ist diese Körperverletzung nicht strafbar. (Das Gleiche gilt übrigens auch für ärztliche Behandlungen: Wenn der Zahnarzt bohrt oder nur die Spritze setzt, sind das beides Körperverletzungen, aber als Patient bin ich einverstanden, dass der Zahnarzt das tut). So lange sich alle an die Regeln halten, werden sie also für Körperverletzungen nicht bestraft.

In diesem Zusammenhang gibt es eine der für mich größten offenen Fragen des Strafrechts: Warum kommen Sportler nicht vor Gericht, wenn sie gegen die Regeln verstoßen und dabei einen Gegner verletzen? Nehmen wir den Fußball: Dort ist – anders als beim Boxen – der Gegner nicht damit einverstanden, verletzt zu werden. Wer beim Fußball in einen Gegner reingrätscht oder ihm sonst irgendeine Verletzung zufügt, begeht eigentlich eine Körperverletzung. Folgen können einfach blaue Flecken sein, aber auch langwierige Verletzungen wie Bänderrisse. Klar ist: Wer auf der Straße einem anderen einen Bänderriss zufügt, wird dafür wohl angezeigt und muss sich vor Gericht verantworten. Warum passiert das im Sport nicht? Eine Einwilligung des Gegners gibt es jedenfalls nicht, denn niemand will dort verletzt werden, und von den Regeln sind diese Verletzungen auch nicht abgedeckt.

Glücklicherweise sind solch schwere Verletzungen auch nicht alltäglich. Strafen gibt es dann auch, aber von den Sportgerichten, die etwa Spielsperren aussprechen. Dennoch wäre es auch dem Staat erlaubt, diese Körperverletzungen zu verfolgen. Einen vernünftigen Grund, warum so ein Verhalten auf dem Fußballplatz nicht bestraft wird, gibt es nicht.